Beim Stöbern im Netz bin auch auf einen schönen Beitrag von Wolfang Rühle gestossen, den ich gerne mit Ihnen teilen möchte.
Die Art, wie wir unsere Hände benutzen ist gesellschaftlich und kulturell geprägt. Die Worte „Hand“ und „Handlung“ sind auch sprachlich aufs engste verknüpft. Unsere Hände sind vor allem da, um zu handeln. Unser Gehirn entwirft Handlungsideen und die setzen wir mit unseren Händen um. Die Information fließt dabei vor allem vom Gehirn zu den Händen.
Jemanden berühren, therapeutisch oder freundschaftlich oder sexuell, wird immer zuerst mit „handeln“ assoziiert. So auch bei der Massage, in der Osteopathie und in der manuellen Therapie. Wobei in der Osteopathie und in der manuellen Therapie auch der Begriff des „Palpierens“, des Ertastens von Spannungen, Blockaden und Läsionen diagnostisch große Bedeutung hat. Aber Palpieren ist auch zuerst ein Handeln, mit dem Unterschied, dass die Information, die von den Händen zum Gehirn weitergeleitet wird die therapeutischen Handlungen bestimmt.
In der Welt der craniosacralen Biodynamik verhält es sich etwas anders. Unsere Hände machen einen Kontakt und lauschen in der Stille auf das was sich zeigt, ohne diese Informationen in Handlung umzusetzen. Vielmehr verharren wir im Lauschen, lassen durch das Lauschen unserer Hände den Kontakt mit dem Klienten immer tiefer werden ohne das Ergebnis in eine Manipulation umzusetzen.
Unsere Hände sind ganz passiv, lauschen auf das, was man englisch als „motion present“ bezeichnet, auf die wahrnehmbare Bewegung in diesem Augenblick. Neurologisch bedeutet das, dass wir vor allem die sensorischen Nerven benutzen, die von den Händen zum Gehirn führen und nicht die motorischen, die vom Gehirn zu den Händen führen. Der Prozess, der dadurch stattfindet ist ein völlig anderer als in anderen Therapieformen. Es findet eine Berührung auf sehr tiefen Ebenen statt. Dabei kommt der Klient in einen Zustand tiefster Entspannung, in dem er sich selbst wahrnehmen kann als ein lebendiges Feld von Bewegungen.
Unsere Hände können, wenn sie darauf geschult und trainiert sind, ultrafeine Bewegungen wahrnehmen, eine Veränderung in der Bewegungen an den Schädelnähten, in den Organen, in der tieferliegenden Muskulatur und vor allem in den Flüssigkeiten des Körpers – und schon allein diese Art der Wahrnehmung hat therapeutisch tiefe Wirkungen.
Diese Art der Therapie steht in Beziehung zum altchinesischen Prinzip des Wu Wei, was so viel bedeutet wie „Nicht-Handeln“, „Nicht-Eingreifen“, „Nicht-Tun“. Die Idee ist, dass der Kontakt ohne Manipulation die überindividuellen Kräfte, die wir in der Cranio-Sprache als „Atem des Lebens“ fassen, zur Wirkung kommen lassen und sich ein Raum öffnet, in dem die dynamische Balance der Lebenskraft wieder wirken kann. „Nicht-Tun“ führt zum Ausgleich der Kräfte und zur Lösung von Blockaden. Dabei muss man allerdings diese Idee des „Nicht-Tuns“ vom „Nichtstun“ unterscheiden. Nichtstun ist bewusstlos, Nicht-Tun beinhaltet Präsenz und Gewahrsein ohne Handeln.
Dies funktioniert natürlich nur, wenn der Behandler selbst in der Lage ist in sich eine stille passive Präsenz zu finden. Diese Stille kann nicht erzwungen werden, sie muss sich einstellen. Jim Jealous, einer der Therapeuten, die sich seit langer Zeit mit solchen Strategien des therapeutischen Kontakts beschäftigen, sage in einem Vortrag dazu: „Manchmal fühlt es sich so an, als ob wir unsere schweren Handschuhe ausziehen müssen, die wir seit Jahren tragen.“ Das ist die Aufgabe eines Therapeuten, der mit dieser Methode arbeiten möchte: seine Hände von ihren antrainierten Bewegungsmuster zu lösen und zu Sensoren des Lauschens werden zu lassen.
Und dann bleibt noch zu sagen, dass man mit diese Methode nicht von Anfang an mit jedem Patienten arbeiten kann. Dazu braucht es eine innere Bereitschaft, die manchmal erst erarbeitet werden muss.